Zahlreiche Teilnehmer:innen aus Wissenschaft und Praxis folgten der Einladung zur Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Gert-Peter Reissner. Nach der Begrüßung der Festgäste durch Herrn Vizerektor Univ.-Prof. Dr. Joachim Reidl gab der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Univ.-Prof. Dr. Christoph Bezemek, einen kurzen Einblick in das Arbeitsspektrum von Gert-Peter Reissner.
In der darauffolgenden Vorlesung referierte Gert-Peter Reissner über zwei aktuelle Problemstellungen für das gegenwärtige Arbeitsrecht: einerseits die arbeitsrechtliche Einordnung der Plattformarbeit und andererseits die seit gut 100 Jahren bestehende Ungleichbehandlung von Arbeiter:innen und Angestellten in der österreichischen Arbeitsrechtsordnung.
Cloudwork, Crowdwork und Gig-Economy sind die Schlagwörter für die Beschreibung neuer, wenngleich offensichtlich teils prekärer Arbeitsformen. Ist das Arbeitsrecht in einer digitalen, vernetzten und flexiblen „Arbeitswelt 4.0“ ein Auslaufmodell? Erzeugt diese neue Arbeitswelt freie, selbstbestimmte Unternehmer:innen, die an die Stelle der unselbständig Beschäftigten treten? Ausgangspunkt dieses ersten Themenblocks war eine Abhandlung über die Entstehung des modernen Arbeitsrechts als Folge grundlegender Umwälzungen in der europäischen Wirtschaft in der ersten industriellen Revolution: Arbeitsteilung, technische Innovationen und (Vertrags-)Freiheit führten zu schweren sozialen Verwerfungen, die das Arbeitsrecht zu beheben hatte. Diese drei Zutaten für die Notwendigkeit des Arbeitsrechts sind auch in der derzeit stattfindenden vierten (wirtschaftlich-technischen) Revolution (Digitalisierung der Arbeitswelt) gegeben. Im Detail bieten etwa digitale Plattformen eine neue Anlaufstelle für die Anbieter und Empfänger von Arbeitsleistungen. Gert-Peter Reissner zeigte dem Publikum, wie mit bewährten arbeitsrechtlichen Instrumenten die Vermittlung von selbständiger Arbeit von den arbeitsrechtlich geschützten unselbständigen Tätigkeiten – Beispiel: Fahrrad-Essenszustellung – abgegrenzt werden kann. Das Fazit lautete: „Alter Wein in neuen Schläuchen“, aber viel Arbeit für die Arbeitsrechtler:innen.
Ein österreichisches Kuriosum wurde im zweiten Themenblock angesprochen. Die völlig überholte Ungleichbehandlung von Arbeiter:innen und Angestellten wird von Judikatur und Praxis – oft auch resignierend – hingenommen. Legistische Bestrebungen für einheitliche allgemeine subjektive Anknüpfungen des Arbeitsrechts sind misslungen und wurden zugunsten einer „Politik der kleinen Schritte“ hintangestellt. Diese Politik der kleinen Schritte hat im Laufe der Jahrzehnte zu punktuellen Angleichungen von Arbeiter- und Angestelltenrecht geführt. Das Resümee: Es ist an der Zeit, endlich einen „großen Wurf“ vorzunehmen und ein für alle Arbeitnehmer:innen geltendes allgemeines „Arbeitsvertragsgesetz“ zu schaffen.